PROJEKTREPORTAGE

Kvӕrnerbyen, Oslo

Arcasa Arkitekter, Oslo

Zwischen den Hängen

  • Autor: Michael Kasiske
  • Fotos: Eirik Evjen

Dem stetigen Bevölkerungszuwachs begegnet Oslo mit verdichteter Bebauung. Das kennzeichnet auch das in seinem Osten gelegene Kværnerbyen. Darüber hinaus erreicht das neu entstandene Quartier weitere Ziele der norwegischen Hauptstadt wie attraktive Verbindungen zur Innenstadt, einen hohen Wohnstandard und einen reflektierten Umgang mit individuellem Fahrverkehr. Die wirkliche Herausforderung lag jedoch in der topografischen Situation des Baugrundstücks.

Östlich des Osloer Zentrums entsteht seit 2007 auf einem ehemaligen Industriegelände das Wohngebiet Kværnerbyen. Der Name hat Tradition: Die Fabrik Kværner hatte den Namen schon von dem Gut übernommen, dessen Areal sie ab 1853 zunächst für die Produktion von Eisengussöfen, später von Turbinen und anderen Maschinen zur Energieerzeugung einnahm. Der eigene Energiebedarf wurde aus der starken Strömung der Alna gedeckt, an deren Flusslauf einst zahlreiche Fabriken siedelten.

Torill Solberg Wikstrøm, Projektmanagerin und Gesellschafterin bei Arcasa Arkitekter.

In Kværnerbyen zeugen lediglich einige Relikte wie stählerne Stützpfeiler und Turbinenelemente noch von dieser Vergangenheit. Nachdem die Produktion 1999 eingestellt worden war, beschloss die Stadt Oslo, das rund zwölf Hektar große Areal städtebaulich neu zu erschließen. Zwei Jahre später erwarb OBOS eine Hälfte der Liegenschaft. Der Projektentwickler lobte einen Wettbewerb für den städtebaulichen Entwurf aus, den Arcasa Arkitekter gewannen. Das erfahrene Büro stellte den so genannten „Regulierungsplan“ auf, mit dessen Genehmigung 2005 durch den Stadtrat Maß und Form der Bebauung festgelegt sowie die vier alten Gebäude bestimmt wurden, welche die Denkmalpflege erhalten wollte.

Das Schönste an Oslo sind die umliegenden Waldgebiete. Sie tragen als Luftfilter und Ziel zahlreicher Freizeitaktivitäten viel zur Lebensqualität bei. Um ihre Nähe zu bewahren, muss der steigende Wohnraumbedarf durch verdichtete Bauformen gedeckt werden – wie in Kværnerbyen. Dort haben wir die Häuser städtebaulich so positioniert und geformt, dass eine gute Belichtung und Belüftung der Wohnungen gewährleistet sind. Gerade aufgrund der Insellage des Quartiers kommt der Gestalt des öffentlichen Raums eine erhebliche Bedeutung für den Alltag der Bewohner zu, weshalb wir das Parken nahezu ausschließlich in die Gebäude verlagert haben. Dort setzen wir auch das System Metrisk by WÖHR ein, um Autos in jeder Hinsicht effizient unterzubringen. Per Erik Martinussen, Torill Solberg Wikstrøm, Arcasa Arkitekter, Oslo

Hinter OBOS verbarg sich früher ein genossenschaftlich getragener Wohn- und Sparverein. Bis zur Deregulierung des Wohnungsmarktes oblag ihm der gesamte soziale Wohnungsbau in Oslo, danach schloss er sich mit anderen Genossenschaften zusammen, reüssierte zum Projektentwickler und ist mit über 200.000 Wohnungen nunmehr das größte Wohnungsbauunternehmen Norwegens. Nach wie vor bietet OBOS Wohnungen für Mitglieder der Genossenschaft an, verkauft aber auch unter der Voraussetzung, dass die Käufer einziehen und nicht weitervermieten.

Um die topografische Situation – nämlich den im Süden befindlichen Berg und die Öffnung nach Westen – architektonisch zu lösen, wurden die Häuserpaare rechtwinklig zum Hang positioniert.

Für Arcasa lag die gestalterische Herausforderung im Vernetzen des zukünftigen Wohngebiets mit der Umgebung. Durch die fast 150 Jahre nur auf sich bezogene Industrieentwicklung lag das beräumte Areal wie eine Insel zwischen drei grünen, steilen Hängen. Dazu trugen im Westen auch die Schnellstraßen und das tiefer liegende Betriebsgelände der Eisenbahn bei, derentwegen die Alna 1922 unterirdisch in Rohre verlegt wurde. Zu den übrigen drei Seiten suchten die Architekten Verbindungen zu den Nachbarschaften. So bezieht sich der Stadtplatz axial auf die nördlich liegende Valarenga-Kirche; das auf einem Hügel stehende Bauwerk beeindruckt durch seine homogene Materialität aus Sandstein und ist in der vielgestaltigen Umgebung eine Landmarke.

Wohnen am Hang: Die Topografie des Grundstücks bestimmt die bauliche Struktur des Quartiers.

Auf der anderen Seite, nach Süden, schlängelt sich eine üppige Treppen- und Rampenanlage im Zickzack den steilen Hang empor und verbindet das Quartier mit dem Stadtteil Ekeberg. Der Stadtplatz selbst wird auf der einen Längsseite durch eine alte Montagehalle geprägt, die heute Gewerbe und Büros beinhaltet und vom Lärm des jenseits verlaufenden Verkehrs abschirmt. Gegenüber, hinter einem großzügigen Arkadengang, befinden sich Geschäfte und ein Café.

Vier der sechs Terrassenhäusern am Hang.

Die Platzbebauung wurde bereits 2007 errichtet. Die Bankenkrise unterbrach die Entwicklung für fünf Jahre, seit 2013 wird das Quartier weiter vervollständigt. Arcasa entwarf neben der städtebaulichen Struktur ein Bürohaus und die Townhouses, die sich gerade im Bau befinden, außerdem die unlängst bezogenen zehn Wohnhäuser neben der Treppenanlage, die im steilen Hang nach Ekeberg stehen.

Schnitt durch eines der quer zum Hang positionierten Wohnhäuser und durch die unterirdische Parkgarage.

Um die topografische Situation – nämlich den im Süden befindlichen Berg und die Öffnung nach Westen – architektonisch zu lösen, wurden die drei mit B3 bis B5 bezeichneten Häuserpaare rechtwinklig zum Hang positioniert und jeweils mit einem querliegenden Riegel an die Quartiersstraße Freserveien angeschlossen. Analog zum Gefälle stufen sich die einzelnen Häuser nach oben um fünf Geschosse, nach unten um drei Geschosse ab, womit die maximale Anzahl acht Geschosse beträgt. Durch das Herabsetzen der Geschosse kommt die Sonne tiefer zwischen die Häuser, was in Norwegen von äußerster Relevanz ist.

Blick nach Norden: Über den neuen Stadtplatz hinweg blickt man in Richtung der Valarenga-Kirche aus rotem Sandstein.

Die großen, horizontal gestalteten Balkone sind konsequent nach Westen orientiert. Ihre leicht wirkende Verkleidung aus weißen Zementplatten steht im Kontrast zu den in dunklem Ziegelstein gehaltenen Baukörpern. Die Schwere des Steins sorgt visuell dafür, dass sie sich gegen die steilen Böschungen und die teilweise über zwei Geschosse reichenden Stützwände behaupten können. Die Rückseite nach Osten ist als homogene Lochfassade ausgebildet, die nur von wenigen kleinen Balkonen rhythmisiert wird. Dort springen auch die einsehbaren Treppenhäuser mit ihren unterschiedlichen kräftigen Farben ins Auge.

Herrlich sind die Terrassen auf den Dächern, von denen jeweils eine pro Haus der Hausgemeinschaft vorbehalten ist. Sie sind umrahmt von Gründächern, so dass auch die Draufsicht die hohe Dichte nicht sofort erkennen lässt. Insgesamt, einschließlich des Winkels am östlichen Ende, hat Arcasa hier rund 450 Einheiten mit je zwei bis vier Zimmern realisiert. Gemäß den norwegischen Regelungen sind sie, einschließlich der Bäder, grundsätzlich rollstuhlgerecht ausgestattet. Nur Wohnungen unter 50 Quadratmetern, das ist eine Konzession an den aktuell großen Bedarf, dürfen zur Hälfte kleinere Bäder aufweisen – das trägt auch der Verringerung der Mindestgröße von 45 auf 35 Quadratmeter für Zweizimmerwohnungen Rechnung.

Bis zu drei Fahrzeuge passen übereinander in das Parksystem, Ladesäule inklusive.

Die Autos der Bewohner werden im Untergeschoss geparkt. Im verwendeten WÖHR Combilift System werden bis zu drei Autos übereinandergestapelt. Fast alle Plattformen sind mit Ladestationen für Elektroautos ausgestattet, da inzwischen rund die Hälfte der zugelassenen Autos im Stadtverkehr elektrisch angetrieben werden. Die Verwendung solcher Parksysteme ist prädestiniert für eine Stadt, in der Dieselfahrzeugen die Zufahrt zwischen 6 und 22 Uhr nicht gestattet ist, und die sich das Ziel gesteckt hat, im Jahr 2019 partiell autofrei zu sein.

(...) kann das Schiebetor mit dem Smartphone geschlossen werden.

Das Quartier wird 2020 nach nunmehr vierzehnjähriger Bauzeit mit rund 1.700 Wohnungen fertiggestellt sein. Längst hat sich eine eigene, lebendige Nachbarschaft gebildet. Auf dem künstlichen Wasserlauf in ihrer Mitte, der an die verrohrte Alna erinnert, wird im Winter Schlittschuh gelaufen. Eine Buslinie, die nach Ende der Baumaßnahmen auf dem Stadtplatz startet, verbindet das Quartier in weniger als 15 Minuten Fahrzeit mit dem Zentrum. Wenn die aktuelle Bauaktivität weiter anhält, ist gewiss, dass die Stadt weiter an Kværnerbyen heranwachsen wird.

Architekten

Arcasa Arkitekter, Oslo
www.arcasa.no

Arcasa Arkitekter wurde 1986 von den Architekten Per Erik Martinussen und Per Einar Knutsen gegründet, die sich sukzessive im letzten Jahrzehnt mit fünf Partnerinnen und Partnern verstärkt haben, unter ihnen Torill Solberg Wikstrøm. Das Architekturbüro umfasst derzeit rund 70 Mitarbeiter, die sich aus einem Stamm erfahrener Architekten und jüngerem Nachwuchs zusammensetzen. Somit ist eine gleichbleibende Qualität gewährleistet, die stets frische Impulse erhält. Das Aufgabengebiet reicht von städtebaulichen Planungen, die lange Abstimmungen benötigen, über Bauten unterschiedlichster Größen bis hin zur Innenraumgestaltung. In ihrem Selbstverständnis als Architekten verstehen sich die Büropartner als Dienstleister, der innerhalb des baurechtlichen und finanziellen Rahmens kompetent gestaltet.

Projekte (Auswahl)

2017 Eufemias Hage Wohnungs- und Geschäftsbau, Oslo
2013 Karenslyst Büro- und Geschäftsbau, Oslo
2008 Rolfsbukta Wohnungsbau, Farnebu
2003 Lilleborg Wohnungsbau, Oslo
1999 Storebrand Vika Bürobau, Oslo

Produktinformation

WÖHR Combilift 543-435/230 (oben links, 3 Parkebenen), Combilift 551-440 und Combilift 552-440 (oben rechts, 2 Parkebenen) für 100 Stellplätze

Anordnung der Combilift Systeme, um eine maximale Stellplatzanzahl zu erreichen.

Semiautomatisches Parksystem, teilweise zweireihige Anordnung der Combilift Systeme, Fahrzeuggewicht max. 2,6 t, elektrische Schiebetore mit feuerverzinkter Stahlgitterfüllung, Anwahl des bauseitigen Garagentors, der Combilift-Stellplätze sowie Öffnen und Schließen der elektrischen Schiebetore per WÖHR Smart-Parking App, Universal-Standsäulen für die Anbringung von bauseitigen Wallboxen zum E-Laden

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